Sechs Wochen später.
In einer Stadt bewohnte seit Kurzem
eine kleine Familie ein kleines, altes Familienhaus, direkt neben
einem Krankenhaus. Ein junges, frisch vermähltes Ehepaar, das gerade
eine kleine Tochter bekommen hatte. Sie haben sie Daja genannt. Dajas
Eltern sind beide Angestellte bei einem Großfachhandel in einer etwa
siebzehn Kilometer entfernten Stadt. Nur noch ein paar Tage, und Daja
geht hier in die Krippe, denn ihre Eltern wollen wieder anfangen zu
arbeiten. Nächste Woche ist es soweit, und der Alltag für die
kleine Familie geht los. Dajas Mutti, Birgit, war schon total
aufgeregt, denn sie plagten Ängste wie zum Beispiel, ob das
überhaupt so richtig für Daja ist, sie jetzt schon in die Krippe zu
bringen, doch sie brauchten das Geld. Schließlich war sie ja noch so
klein. Eine Woche später, und der Tag kam, an dem das Berufsleben
für Dajas Eltern wieder losging. Birgit und ihr Mann Marty brachten
Daja wie jeden Abend gegen neunzehn Uhr ins Bett. Nun waren sie
richtig aufgeregt, gerade auch, weil der Alltag mit Daja ganz anders
aussehen würde, aber auch, weil sie Kollegen wieder sehen werden und
auch schon eine Weile nicht mehr arbeiten waren.
Währenddessen im Krankenhaus. Gleich
als man mich fand, informierte man die Polizei.
Langsam öffnete ich blinzelnd meine
Augen, mir tat alles weh und ich war noch ziemlich geschwächt.
Ich konnte mich an nichts mehr
erinnern. Ganz schwach sah ich, wie ein Arzt nach mir sah. Er sagte:
“Können sie mich hören? Verstehen sie mich?“ „Nein“,
erwiderte ich. So durcheinander war ich. Sofort meldete der Arzt der
Polizei, dass ich wach geworden bin. Langsam schlief ich wieder ein.
Gegen Abend wurde ich wach, und immer noch fehlte mir jede
Erinnerung. Das machte mir irgendwie Angst, denn auch mein Name fiel
mir nicht mehr ein. Über mir sah ich eine Klingel, die ich mir auch
gleich zunutze machte. Keine zwei Minuten später erschien ein Arzt,
und ich fragte ihn was ich hier mache und woher ich komme und vor
allem wie ich hierhergekommen bin. Doch der Arzt sprach: “Ein Mann
hatte sie in einem kleinen Waldstück hier ganz in der Nähe gefunden
und rief uns sofort an. Sie waren schwer verletzt und wir brachten
sie sofort hierher ins Krankenhaus. Die letzten sechs Wochen lagen
sie im Koma. Woher sie kommen und auch wie sie heißen, wissen wir
leider nicht, denn sie hatten keine Papiere oder sonstiges dabei.“
„ Dann bin ich hier auf der Intensivstation?“, fragte ich
schnell. „Nein, nicht mehr, wir haben Sie, während Sie heute
Nachmittag geschlafen haben, auf die reguläre Station verlegt“,
gab der Arzt von sich. Er meinte noch, dass ich froh sein kann, dass
ich überhaupt noch lebe. Doch mich plagte ´was ganz anderes, denn
meine Erinnerungen waren komplett verschwunden. Am nächsten Morgen
nach dem Frühstück wollte ich aufstehen, doch mir tat noch alles
weh, was mich daran hinderte. Die Tage vergingen, bis es mir wieder
besser ging, und der Frühling brach wieder an. Es dauerte nicht mehr
lange und ich durfte nach Hause, aber wohin? Meine Erinnerungen waren
ja immer noch nicht wieder da. Ich war ziemlich verzweifelt und
wusste nicht weiter. Das sagte ich auch dem Arzt. Da das Krankenhaus
sowieso noch die Personenangaben braucht und die Krankenkassenkarte
auch, machte sich der Arzt daran, meine Identität herauszufinden,
was gar nicht so einfach war, ohne jeden Hinweis. Deshalb bot er mir
an, dass ich ansonsten für eine Weile bei einer Freundin von ihm
unterkommen könnte, die nach einem langen Gespräch einwilligte. Ich
kannte die Person zwar nicht, aber ich nahm das Angebot trotzdem an.
Diese Freundin, Magrit, wohnte direkt neben der kleinen Familie, die
erst vor Kurzem hierherzog. Nun war es soweit, ich durfte das
Krankenhaus verlassen. Magrit holte mich von dort aus ab. Sie
begrüßte mich sehr freundlich und gab mir das Gefühl, dass ich bei
ihr sehr gut aufgehoben sei. Der Arzt verabschiedete sich noch von
mir. Er wusste aber, dass die Polizei noch versucht herauszufinden,
wer mir das alles angetan hatte, denn es war klar, dass das kein
Unfall war. Bis jetzt konnte er die Polizei von mir fernhalten, denn
er wusste, dass ich genug damit zu tun hatte, dass ich mich an nichts
erinnern konnte. Der Arzt ließ, bevor wir gingen, die Polizei zu
mir, damit sie mich verhören konnten. Aber leider konnte ich ja
nicht viel dazu sagen.
Nun wohnte ich schon zwei Monate bei
Magrit. Eines Tages kam Magrits Mann von einer zehnwöchigen Montage
wieder. Er kam herein und stellte sich mit einem Hallo vorweg vor.
„Ich heiße Heinrich“, sagte er. Er kam mir sehr bekannt vor und
ich wusste, er hat ´was mit meiner Vergangenheit zu tun. Da ich
nicht wusste, wo ich ihn einordnen sollte, und ich auch keine
Erinnerung hatte, sagte ich erstmal nichts. In dieser Nacht machte
ich kein Auge zu, so unruhig war ich. Das fiel auch Magrit auf, und
sie sprach mich am nächsten Morgen darauf an. Sie fragte mich, warum
ich so nervös sei. Doch ich sagte ihr, es sei alles in Ordnung. Sie
glaubte mir zwar nicht, aber beließ es trotzdem dabei. Sie sagte
mir: “Komm, mach dich erst mal im Bad zurecht und dann komm runter
zu Tisch! Wir wollen Frühstücken.“ Das machte ich auch und ging
hinunter, ich setzte mich an den Tisch, ohne Heinrich aus den Augen
zu lassen. Ich wusste, dass ich sehr vorsichtig sein musste. Er
durfte auf keinen Fall mitbekommen, dass ich skeptisch war, was ihn
betraf. Nun versuchte ich wegzuschauen, nur das war nicht so einfach.
Ich wusste, dass er genau weiß, was gewesen war und wollte auf
keinen Fall, dass er weiß, dass er mir bekannt vorkam. An jenem
Nachmittag ging ich auf den Hof und sah auf dem benachbarten
Grundstück ein kleines Mädchen herumkrabbeln, und die Mutter
beobachtete ihr Kind von einem Gartenstuhl aus, der direkt am Haus
stand. Das Mädchen spielte mit dem Gras, was mir seit Langem ein
Lächeln ins Gesicht zauberte. Ich ging hinüber und stellte mich der
Mutter vor, was Heinrich beobachtet hatte. Gekannt hatte ich die
Familie natürlich noch nicht, aber ich brauchte einen Außenstehenden
zum Reden und hoffte darauf, dass die junge Mutter mir zuhören
würde. Außerdem hatte ich Hoffnung, dass sie mir mehr über die
beiden sagen könne, bei denen ich wohne. Ich erzählte ihr alles,
was ich wusste. Nur das, was sie mir sagte, half mir nicht wirklich
weiter. Sie bot mir etwas zu trinken an, brachte die Kleine ins Haus
zu ihrem Mann und setzte sich zu mir. Sie erzählte mir, dass ihr
kleines Kind Daja heißt und nun ein wenig schlafen soll. Dann sagte
sie mir, dass sie selbst erst seit Kurzem hier wohnen und die beiden
nebenan eigentlich ganz nett seien. Dann verabschiedete ich mich
wieder und ging auf mein Zimmer, dass ich von Magrit bekam.
Währenddessen ging Heinrich rüber zur kleinen Familie und hielt der
jungen Mutter unbemerkt ein Messer an den Hals und sagte ihr, dass
ihr der Kontakt zu dem Mädchen, mit der sie gerade sprach, nicht
bekommen würde. Ihre Angst ließ sie ruhig bleiben. Birgit vertraute
sich wenige Minuten später, nachdem Heinrich wieder ging, ihren Mann
an. Marty meinte, dass sie die Polizei verständigen müssen, aber
Birgit hatte Angst, dass mir etwas passieren könnte und ihrer
kleinen Familie auch. So nervös und panisch sie nun auch war, sie
konnten nichts machen. Ich saß auf meinen Zimmer und musste die
ganze Zeit nachdenken und versuchte krankhaft, mich an etwas zu
erinnern, aber mir viel, so mehr ich überlegte, nichts ein. Ich
stand durch das krankhafte Überlegen und durch meine Unruhe und
Ängste unter Druck. Aber eins war klar, ich war hier nicht sicher
aufgehoben. Nun dachte ich, ich geh noch einen Augenblick um die
Blöcke spazieren. Das tat ich auch und ging hinunter in den Flur, um
mir eine dünne Jacke anzuziehen. Da kam Heinrich auf mich zu und
fragte, wo ich hin möchte. Er schaute mich mit einem skeptischen
Blick an, aber ich erwiderte schnell: „Frische Luft schnappen.“
Dann schubste ich ihn aus dem Weg und ging zur Tür hinaus. „So“,
dachte ich. Aber ich glaube, er verstand gar nicht, warum ich so
reagierte. ´Ob er vermutete, dass ich irgendwelche Befürchtungen
hatte?´, fragte ich mich. Doch ich hoffte, dass dies nicht der Fall
sei. Nach zwanzig Minuten Spaziergang auf einem Feldweg, der aus der
Stadt hinaus führte, sah ich ein Waldstück und dachte das dies
vielleicht das Waldstück war, indem man mich fand. Ich ging in den
Wald hinein und hoffte, dass vielleicht hier Erinnerungen wieder
hochkommen würden. Dann hatte ich mich genau umgeschaut und ging
Stück für Stück weiter. Da sah ich eine Halle und ging vorsichtig
auf sie zu. Vorne an stand ein Schild mit der Aufschrift „Betreten
verboten“. Trotzdem, ich war neugierig und ging in sie hinein.
Plötzlich sah ich Bilder vor meinen Augen, die ich nicht zuordnen
konnte. Sie waren so erschreckend, dass ich zu Boden fiel. Schnell
stand ich wieder auf, denn auf dem Boden war viel Blut zu sehen. Es
dauerte keine Minute, bis ich die Halle wieder verließ, so sehr habe
ich mich erschrocken und geekelt. ´Was mache ich jetzt´, dachte
ich. Auf jeden Fall wusste ich genau, ich muss wieder zurück. Und
dann ging ich auch wieder zurück. Als ich wieder bei Magrit und
Heinrich angekommen war, war es schon spät und ich ging schweigend
wieder zurück auf das Zimmer, um zu schlafen. Magrit wunderte sich
über meine Reaktion, aber ließ mich in Ruhe. Dann gingen auch
Magrit und Heinrich ins Bett. Langsam schlief ich ein und ich sah
Heinrich vor mir, wie er mich schlug. Immer wieder und wieder schlug
er auf mich ein, bis ich bewusstlos wurde, und dann wachte ich
schweißgebadet auf. Ich hörte mein eigenes Herz schlagen und konnte
mich nicht rühren. Es dauerte eine Weile, bis ich mich beruhigen
konnte und ging leise die Treppe hinunter. Heinrich bemerkte das, er
kam aus dem Schlafzimmer, packte mich am Kragen und nahm mich mit
nach draußen, damit Magrit nichts mitbekommen würde. Dann sagte er
mir, er würde mich töten, und das dies sicher nicht mehr lange
dauern wird. Er muss geahnt haben, dass einige meiner Erinnerungen
langsam wiederkamen. Da war mir klar, dass ich abhauen muss. Nur wie,
denn Heinrich würde mich, da war ich mir sicher, nicht mehr aus den
Augen lassen. Was ich nicht wusste zu diesen Zeitpunkt, die Mutti von
Daja hatte alles beobachtet vom Fenster aus. Denn Daja schlief noch
nicht durch, sodass Birgit dreimal die Nacht aufstehen musste. Zum
Glück lässt sie immer das Licht aus, wenn sie aufstehen muss, und
Daja war gerade wieder eingeschlafen. Sonst hätte er sie vermutlich
noch gesehen. Mit dem, was er mir sagte, und meiner Angst machte ich
mich auf das Zimmer und verhielt mich ruhig, sodass er mich in Ruhe
ließ. Ich war mir sicher, dass man mich zu Hause schon längst
vermisst. Darum hoffte ich, dass die Polizei eine Verbindung schon
bald herstellen kann.
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